Schutz darf nicht auf Kosten der Menschenwürde gehen

Besuche in Pflegeheimen brauchen verbindliche Standards

Düsseldorf, 16. Juni 2020. Auf dem Papier sind Besuche in Pflegeheimen in NRW laut Coronaschutzverordnung seit Mai wieder möglich. „In der Praxis aber hapert es vielerorts noch mit der Umsetzung“, sagt Regina Schmidt-Zadel, Vorstandsvorsitzende des Landesverbands der Alzheimer Gesellschaften NRW. „Gerade für demenzkranke Menschen sind jedoch regelmäßige persönliche Kontakte überlebenswichtig“. Der Landesverband fordert daher verbindliche und an guten Beispielen orientierte Leitlinien, die adäquate Besuchsmöglichkeiten gewährleisten.

„Während sich das Alltagsleben aufgrund der gelockerten Coronaregeln langsam wieder normalisiert, unterliegen Besuche in Pflegeeinrichtungen weiterhin großen Einschränkungen“, so Schmidt-Zadel. In manchen Pflegeheimen sind die Treffen auf 20 Minuten, feste Tage und Einzelpersonen beschränkt. Dabei lässt die Verordnung des Landesministeriums ausdrücklich täglich Besuche von bis zu zwei Personen zu. Der Landesverband beobachtet, dass es derzeit große Unterschiede gibt, wie oft und unter welchen Bedingungen, Familien ihre Angehörigen im Heim sehen können. „Hier sind dringend gesetzliche Regelungen erforderlich, die dann von den Einrichtungen verbindlich umgesetzt werden müssen“, sagt Regina Schmidt-Zadel. Alzheimer NRW fordert zudem, die Heime personell und materiell so auszustatten, dass sowohl die Sicherheit der Pflegekräfte als auch das Wohl der Bewohner und Bewohnerinnen gewährleistet ist. Die vom Bundesgesundheitsministerium angekündigte Ausweitung der Coronatests könnte ebenfalls dazu beitragen, Besuche in Pflegeheimen sicherer zu machen – vorausgesetzt, dass sie auch pflegende Angehörige einschließen.

Sorge um das Wohl der Menschen in Pflegeheimen wächst

„Der Schutz vor Infektionen darf nicht auf Kosten der individuellen Gesundheit und Menschenwürde gehen“, so die Verbandsvorsitzende. Dazu gehöre unabdingbar das Recht auf soziale Teilhabe und Selbstbestimmung. Obwohl laut Coronaschutzverordnung, Bewohnerinnen die Einrichtung allein oder in Begleitung verlassen dürfen, bleibe dies in der Praxis den meisten verwehrt. Auch der Zugang externer Dienstleister wie Physiotherapeuten, Seelsorgern oder medizinischer Fußpflege komme nur langsam voran. Die reduzierten sozialen Kontakte und eingeschränkte Bewegungsfreiheit, so die ehemalige Gesundheitspolitikerin, treffen Demenzkranke besonders. Persönlicher Kontakt und körperliche Nähe sind für diese Menschen besonders wichtig. „Schon die wochenlangen Besuchsverbote hatten bei vielen Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen zu einer deutlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geführt“, erklärt Schmidt-Zadel.

Allein in Nordrhein-Westfalen leben mehr als 300.000 Menschen mit Demenz. In stationären Einrichtungen machen sie inzwischen einen Großteil der Pflegebedürftigen aus. Viele Familien – Kinder, Partner, Enkel, die vor der Corona-Epidemie oft im Heim lebende Angehörige etwa bei der Essensaufnahme unterstützt haben, sorgen sich zunehmend um deren Wohl. „An unserem Alzheimer-Telefon schildern uns Anrufende, dass ihre Angehörigen im Heim depressiv und unruhig werden oder stark abgenommen haben“, berichtet Schmidt-Zadel. Den Unmut darüber bekommt, schuldlos, aber immer öfter das Pflegepersonal zu spüren. Als konkrete Verbesserungsmaßnahme hat die NRW-Landesregierung Anfang Juni eine Dialogstelle für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen geschaffen. Sie soll helfen, Konflikte zu schlichten, die im Zusammenhang mit den Besuchsregelungen aufkommen können.

Leitlinien für Besuche auf Basis guter Beispiele

Zugleich gibt es, betont Alzheimer NRW, sehr viele positive Beispiele von Einrichtungen, die mit viel Aufwand kreative Wege gehen, um Schutz und Sozialkontakte miteinander zu vereinbaren. Wünschenswert sei es die Erfahrungen dieser „good practices“ zu nutzen und in Leitlinien umzuwandeln, an denen sich alle Einrichtungen orientieren können. „Ältere Pflegebedürftige können aufgrund ihrer begrenzten Lebenszeit nicht warten, bis es einen Impfstoff gibt“, betont Schmidt-Zadel. „Es müssen jetzt praktikable Lösungen her, die ihnen soziale Teilhabe ermöglichen und ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben sichern.“

Kontakt: Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW e.V. | V.i.S.d.P. Vorsitzende Regina Schmidt-Zadel, MdB a.D. | Bergische Landstraße 2 | 40629 Düsseldorf | Tel. 0211/240869 – 10 | Mail: presse@alzheimer-nrw.de | www.alzheimer-nrw.de

Der Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW e. V. wurde 2003 gegründet. Er ist die Interessenvertretung der regionalen Alzheimer Gesellschaften und Alzheimer Angehörigen- Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeinitiativen in NRW. Er führt laufend eigene Projekte durch, z.B. das Projekt "Leben mit Demenz", eine Schulungsreihe für Angehörige. Er ist Veranstalter von Fachtagungen und Herausgeber eigener Publikationen. Er setzt sich für einen würdevollen Umgang mit Menschen mit Demenz ein, insbesondere in der Pflege, und wirkt an der Verbesserung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Gremien, Ausschüssen und auf politischer Ebene mit.

 

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