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Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW e. V.

ALZHEIMER NRW 2-2020

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IN DIESEM NEWSLETTER

Editorial

Aus Verband & Mitgliedschaft:
  • 10 Jahre Schulungsreihe „Leben mit Demenz“
  • Telefonberatung auch am Wochenende
  • Neue Kraft schöpfen im Rhein-Erft-Kreis
Menschen:
  • Alle mitnehmen beim Schutz vor Corona im Heim
  • Mit dem Liebesdienst im Stich gelassen
Nachgefragt:
  • Zieht die Gesellschaft die richtigen Lehren aus den Erfahrungen mit COVID-19?

Liebe Leserinnen und Leser
von den Medien und aus dem Verband,

„Demenz – wir müssen reden!“ heißt das Motto des diesjährigen Welt Alzheimertages. Das kann man durchaus auch als Einforderung dringend notwendiger Gespräche mit der Politik und den Leistungserbringern im Gesundheitsbereich verstehen. Ein halbes Jahr nach dem Lockdown im März sind viele Einschränkungen von Kontakten und Freiheiten offiziell wieder aufgehoben. Aber Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen zahlen nach wie vor einen weit überhöhten Preis für den Infektionsschutz. Da verweigern Tagespflegen langjährigen Besuchern nach dem Lockdown die Wiederaufnahme, schicken Heime Bewohner, die ihre Familie besucht haben, in Quarantäne und schränken generell die Besuchsrechte in unzumutbarer Weise ein.

All dies zeigt, dass wir noch viel tun müssen, um das Gesundheitssystem auf pflegebedürftige Menschen und vor allem solche mit einer Demenz auszurichten. Umso bedauerlicher, dass die Kanzlerin die Bitte um ein Gespräch mit dem Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW e.V. und der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. aus Zeitgründen abgelehnt hat.

Dennoch verfolgen wir die Anliegen von Menschen mit Demenz und ihrer An- und Zugehörigen natürlich unvermindert weiter.

„Demenz - wir müssen reden!“ Das Motto des Welt Alzheimertages wird nun erst einmal in zahlreichen Veranstaltungen lebendig, die den Betroffenen Kraft spenden und alle Beteiligten auch mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch bringen mögen. So werden die Anliegen der Menschen mit Demenz hoffentlich mehr und mehr solche der ganzen Gesellschaft.

Ihre Regina Schmidt-Zadel (MdB a.D.)
Vorsitzende des Landesverbandes der Alzheimer Gesellschaften NRW e.V.

Aus Verband & Mitgliedschaft

10 Jahre Schulungsreihe „Leben mit Demenz“

Das Team von „Leben mit Demenz“ freut sich, auf 10 Jahre erfolgreiche Schulungsarbeit zurückblicken zu können. Der Pflegekurs, ein Kooperationsprojekt des Landesverbandes der Alzheimer Gesellschaften NRW e.V. und der AOK Rheinland/Hamburg – Die Gesundheitskasse richtet sich an Angehörige, Ehrenamtliche und Interessierte und ist kostenlos. In mehreren 90-minütigen Einheiten bietet er Informationen rund um das Thema Demenz und Unterstützungsmöglichkeiten.

„Gerne hätten wir den runden Geburtstag von „Leben mit Demenz“ mit der AOK, mit Netzwerk-Partnern und Referenten gefeiert. Aber ‚Corona‘ hat uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht“, sagt Doris Bockermann, die im Landesverband Alzheimer NRW für das Schulungsangebot „Leben mit Demenz“ zuständig ist.

Gründe zum Feiern hätte es genug gegeben: Noch nie war die Nachfrage nach „Leben mit Demenz“-Kursen so hoch wie zu Beginn des Jahres 2020. „Schon im Februar waren wir für das ganze Jahr ausgebucht und mussten Wartelisten anlegen."

Kein Wunder: Die über Feedback-Bögen ermittelte Zufriedenheit der Kursteilnehmenden ist hoch. Die Kursreihe wird oft weiterempfohlen. „Das ist die beste Werbung und eine große Motivation für uns“, freut sich Doris Bockermann, die mit ihrem Team stets im Blick hat, das Angebot an den Bedarf anzupassen und weiter zu entwickeln.

2010 startete das Pflegekursangebot mit einem Umfang von fünf Modulen à 90 Minuten. Bald kamen Veranstaltungen hinzu, die jeweils ein Thema der Kursreihe vertiefend behandelten. Der „Leben mit Demenz“ Kurs wurde in türkischer und russischer und später auch in persischer Sprache angeboten. 2015 kam mit dem Thema „Krisenbewältigung für Pflegende“ ein sechstes Modul hinzu, und 2018 wurde das Angebot um ein nachhaltiges Doppelmodul aufgestockt: Für Teilnehmer, die ihre im Kurs gewonnenen Erkenntnisse vertiefen möchten, gibt es seitdem die Gelegenheit, mit etwas zeitlichem Abstand ihre Erfahrungen zu thematisieren und Nachfragen zu besprechen. Mittlerweile haben mehr als 23.000 Menschen von den „Leben mit Demenz“-Angeboten profitiert.

Ausgerechnet in diesem Jahr mit seiner besonders hohen Nachfrage traf der durch „Corona“ bedingte Lockdown auch die Schulungsreihe. Nach monatelanger Pause laufen die Präsenzkurse nun wieder langsam an.

„Die Kurse können aktuell dort stattfinden, wo Netzwerkpartner die Beachtung von Maßnahmen nach der Corona-Schutzverordnung gewährleisten können“, sagt Doris Bockermann. „Je nach Räumlichkeit hat das zur Folge, dass sie aktuell oft mit weniger Teilnehmern durchgeführt werden als in der Zeit vor Corona. Aber für die Teilnehmenden kann das ja auch ein Gewinn sein, weil sie in einer kleinen Gruppe mehr Raum für den Erfahrungsaustausch haben."

In der Zeit des Lockdowns hat das Schulungsteam des Verbandes einen „Leben mit Demenz - Online-Krisen-Pflegekurs Corona“ entwickelt. Einmal wöchentlich sind Interessierte zu einer Video-Konferenz eingeladen. Dabei gehen die beiden durchführenden Referenten nicht nur auf Fragen zum Krankheitsbild und zur Pflege ein, sondern besprechen mit den Teilnehmenden aus aktuellem Anlass auch, wie man zum Beispiel damit umgeht, dass ein Mensch mit Demenz seine Maske nicht trägt oder Abstandsregeln nicht einhalten kann. Bislang ist geplant, den Online-Kurs Ende September auslaufen zu lassen. Aber falls notwendig, wird das zusätzliche Angebot auch darüber hinaus beibehalten oder wieder aufgenommen.

Telefonberatung auch am Wochenende


Angesichts der Corona-Pandemie und den mit den Schutzvorschriften verbundenen Einschränkungen ist der Bedarf an Beratung und Unterstützung gewachsen. Der Landesverband der Alzheimer Gesellschaften hat deshalb sein Angebot für pflegende Angehörige und Menschen mit Demenz ausgebaut. Zu festen Zeiten, auch am Wochenende, bieten wir am „Alzheimer Telefon“ Beratung und persönliche Gespräche an. Das Projekt wird jetzt noch bis 31.12.2020 vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW (MAGS) gefördert. Der Landesverband wird sich dafür einsetzen, dass das stark nachgefragte Angebot auch darüber hinaus vorgehalten werden kann.

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Neue Kraft schöpfen im Rhein-Erft-Kreis

„Als die Menschen im Juni wieder zu uns kamen, waren sowohl die Demenzbetroffenen als auch ihre pflegenden Angehörigen deutlich gezeichnet von den Belastungen der zurückliegenden Corona-Zeit.“ Dr. Sybille Schreckling ist froh, dass die Alzheimer Gesellschaft Rhein-Erft-Kreis ihre Gesprächs- und Bewegungsgruppen wieder öffnen durfte. Auch die niederschwellige Tagespflege ist wieder angelaufen. Hier werden jeden Tag über mehrere Stunden wechselnde Gruppen von fünf oder sechs Menschen mit Demenz betreut. „Unseren Bus, der bis zu drei Teilnehmende von zu Hause abholen und wieder hinbringen kann, haben wir mit Spuckschutzwänden versehen. Und auch in den Gruppen selbst funktioniert unser Hygienekonzept“, sagt die Ärztin, die den Vorsitz der Alzheimer Gesellschaft Rhein-Erft-Kreis innehat.

In der Tagespflege werden die Menschen mit Demenz von eigens geschulten Alltagsbegleiterinnen und -begleitern in Bewegung und ins Spiel gebracht. Aber auch die Angehörigen finden offene Ohren und Beratung. „Das waren harte Monate. Berufstätige im Home-Office hatten noch Glück, dass sie für ihre pflegebedürftigen Angehörigen ansprechbar bleiben konnten, ohne Urlaub nehmen zu müssen“, berichtet Sybille Schreckling. „Aber manche sind auch daran verzweifelt, weil sie kaum eine ruhige Minute für ihre Arbeit hatten.“ Überhaupt sei es für viele sehr kräftezehrend gewesen, ständig zusammen zu sein, ohne Atempausen durch Tagespflegen und andere Betreuungsangebote.

Jetzt können sich alle wieder ein wenig entspannen: in den Bewegungsangeboten, beim geplanten Tanztee oder auch in der Angehörigengruppe und in der Beratung, wo man sich mal alles Quälende von der Seele reden kann. Mehr unter: http://alzheimer-gesellschaft-rhein-erft-kreis.de/. Eine neue Homepage ist in Arbeit.

Menschen

Michael Thelen
Michael Thelen leitet das Evangelische Serniorenzentrum Theresienau in Bonn und engagiert sich seit 2017 ehrenamtlich im Vorstand von Alzheimer NRW. (Foto: privat)
"Das verdanken wir zu einem guten Teil unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich auch nach Dienstschluss sehr umsichtig verhalten und auf manche Begegnung verzichtet haben, um unsere Bewohner zu schützen."

Michael Thelen:
Alle mitnehmen beim Schutz vor Corona im Heim

Selten hätten sie so viele positive Rückmeldungen von Angehörigen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner erhalten wie nach den ersten Monaten unter Pandemie-Bedingungen, erzählt Michael Thelen, der in Bonn das Evangelische Seniorenzentrum Theresienau e.V. leitet. Obwohl das in den 70er Jahren gebaute Heim mit 145 Plätzen groß ist, - ein Risikofaktor für die Verbreitung von Infektionen - gelang es bis jetzt, das COVID 19-Virus draußen zu halten. „Das verdanken wir zu einem guten Teil unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich auch nach Dienstschluss sehr umsichtig verhalten und auf manche Begegnung verzichtet haben, um unsere Bewohner zu schützen“, erläutert Michael Thelen. „Auch die Angehörigen waren sehr verständnisvoll und haben bei den Vorsichtsmaßnahmen gut mitgezogen. Und natürlich hatten wir auch Glück.“

Der 53-Jährige engagiert sich seit 2017 ehrenamtlich im Vorstand des Landesverbandes der Alzheimer Gesellschaften NRW und ist dafür bekannt, eine Pflegekultur zu vertreten, die versucht, ohne Zwang und Freiheitseinschränkungen auszukommen. Jedes der 140 Einzelzimmer in dem Bonner Seniorenzentrum hat eine Klingel an der Tür, die deutlich macht, wer dahinter das Sagen hat. Umso schwerer fiel es dem examinierten Altenpfleger, in seinem Heim den Lockdown zu verhängen. „Wir haben fast die ganze Zeit über Begegnungen auf Abstand im Garten und in eigens eingerichteten Besucherräumen ermöglicht“, erzählt Thelen. „Bei schweren Erkrankungen oder am Lebensende haben wir selbstverständlich auch Besuche auf dem Zimmer ermöglicht – auch dies natürlich unter Beachtung der gebotenen Sicherheitsvorkehrungen.“

Genauso wichtig mag es für die zufriedenen Angehörigen aber gewesen sein, dass Michael Thelen von Anfang an auf Kommunikation setzte. „Ich habe einen Newsletter konzipiert und damit die Angehörigen darüber informiert: Was geht, was geht nicht?“, erzählt der Einrichtungsleiter. „Natürlich konnten sich auch die Bewohnerinnen und Bewohner und die Angehörigen mit ihren Anliegen und Sorgen auch direkt an mich wenden. So ist es gelungen, alle auf unserem Weg mitzunehmen.“ Härten haben sich dennoch nicht vermeiden lassen. „Manche Bettlägerige konnten nicht in den Garten gebracht werden. Andere waren zwar im Garten, konnten sich aber auf Distanz nur schwer verständigen. Die Masken haben viele Menschen geängstigt. Und unsere Gemeinschaftsveranstaltungen, zum Beispiel die Gottesdienste, fielen aus, Therapeuten kamen nicht mehr“, so Thelen. „Immerhin haben wir es geschafft, durch unsere guten Verbindungen zu den niedergelassenen Ärzten die notwendige ärztliche Versorgung aufrechtzuerhalten. Und wir haben Konzerte und Video-Konferenzen organisiert, um unsere Bewohner ein wenig über die Entbehrungen hinweg zu trösten.“

Im Lichte der heutigen Erkenntnisse würde es Michael Thelen vorziehen, bei einer vergleichbaren Infektionsgefahr künftig nicht gleich so umfassend die Freiheitsrechte der Heimbewohner einzuschränken. „Das verstößt ja auch gegen die Menschenwürde. Man sollte nicht alles dem Lebensschutz unterordnen, sondern die Betreffenden bis zu einem gewissen Grad selbst entscheiden lassen, welches Risiko sie persönlich eingehen wollen.“

Wie hat er selbst die vergangenen Monate überstanden? „Vermutlich wie viele andere, die sich bemüht haben, in ihren Einrichtungen Schutz und Lebensqualität auszubalancieren – und das sind viele, das weiß ich, weil ich gut vernetzt bin und mich die ganze Zeit über mit anderen beraten habe“, sagt Thelen. „Für uns alle in unserem Seniorenzentrum war es anstrengend, und wir sind immer noch in Habachtstellung, denn die Gefahr ist ja noch nicht vorüber.“

Diethard Zander:

Mit dem Liebesdienst im Stich gelassen

53 Jahre sind Diethard Zander und seine Frau Monika schon verheiratet. Und der 81-jährige Ehemann hält an seinem einst gegebenen Ja-Wort eisern auch jetzt noch fest, wo die schöne gemeinsame Zeit lange zurückliegt. Die dementielle Veränderung seiner Frau begann schleichend bereits vor mehr als zehn Jahren. 2012 erhielt das Ehepaar aus Mechernich dann die Diagnose Demenz. Und als wäre das nicht schon Gepäck genug im letzten Lebensdrittel, leidet Monika Zander auch noch an Epilepsie und Parkinson.

Was zuerst noch miteinander bewältigt werden konnte, lastet heute allein auf Diethard Zanders Schultern. Er kauft ein, kocht, wäscht, putzt, kümmert sich – auch nachts - um seine Frau und passt auf, dass sie nicht wegläuft oder fällt, wenn er ihr mal den Rücken zudreht. Die 75-Jährige mit Pflegegrad 5 hält es nämlich nie an einem Ort. „Kaum drehe ich mich um, steht sie auf und läuft los“, sagt er. „Dann kann es leicht passieren, dass sie zum Beispiel im Garten stürzt und sich verletzt. Ein paarmal ist es ihr auch gelungen, auf die Straße zu laufen. Ob es heiß ist oder regnet, das ist ihr ganz egal. Zweimal mussten Sturzwunden schon im Krankenhaus genäht werden.“

Vor eineinhalb Jahren gelang es Diethard Zander, seine Frau tagsüber für einige Stunden in einer Tagespflege unterzubringen. Aber mit dem Lockdown in der Corona-Zeit endete die Atempause. Und als die Betreuung vor einiger Zeit eingeschränkt wieder aufgenommen wurde, bekam seine Frau keinen Platz mehr in der verkleinerten Gruppe. „Ich habe gefragt: Wonach richtet es sich denn, wen Sie aufnehmen? Ziehen Sie die leichter zu betreuenden Menschen vor? Warum behalten Sie nicht diejenigen, wo die Not zuhause am größten ist?“

Diethard Zander ist ja kein junger Mann mehr, er leidet unter Arthrose: Rücken und Knie schmerzen, und auch die Nerven sind oft bis zum Zerreißen angespannt. „In der Alzheimer Gruppe werden wir ja darauf eingeschworen, dass die Menschen mit Demenz nichts für ihre Erkrankung können, und ich weiß das auch. Aber manchmal muss ich mich schwer beherrschen, um nicht hochzugehen, wenn alle Bitten und Ermahnungen rein gar nicht helfen und meine Frau mal wieder losläuft.“

Die „Hinlauftendenz“ seiner Frau sowie ihr liebevoller Umgang mit den anderen Besuchern der Tagespflege wurden in der Corona-Zeit mit ihren strengen Hygieneauflagen zu Ausschlusskriterien. „Was soll man machen? Als treusorgender Angehöriger kann man nicht einfach hinschmeißen, wenn man überlastet ist“, sagt Diethard Zander und erzählt, dass es gar nicht selten passiert, dass der ursprünglich fittere pflegende Partner vor dem Pflegebedürftigen stirbt. Es erbittert den Rentner, dass die Pflegekassen nicht wenigstens einen Teil des während der Schließung der Tagespflegen eingesparten Geldes an die pflegenden Angehörigen ausgezahlt haben. „Hier muss der Gesetzgeber dringend eine Änderung veranlassen“, fordert Diethard Zander.

Der Betrag, den das Ehepaar regelhaft aus der Pflegeversicherung bezieht, beträgt 901 Euro im Monat. „Dafür muss ich rund um die Uhr funktionieren. Und wenn ich morgens und abends nur für kurze Zeit Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst einkaufe, bleibt so gut wie gar nichts über“, schimpft er.

Rettung in der Not war eine kürzlich eröffnete Tagespflege im Nachbarort, die noch wenige Besucher hat, und wo Monika Zander trotz ihrer Eigenheiten aufgenommen wurde. „Sie ist sehr musikalisch, das habe ich auch in ihre Biografie geschrieben. Und nun machen sie oft Musik und sie bewegt sich dazu“, erzählt Diethard Zander. „Das gefällt ihr und lässt sie auch zeitweise ihren Laufdrang vergessen.“

Nun hofft er, dass das getroffene Arrangement von Dauer ist, auch wenn die betreute Gruppe noch weiteren Zuwachs bekommt.
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Diethard Zander mit seiner Ehefrau Monika am 53. Hochzeitstag (Foto: privat)
„Als treusorgender Angehöriger kann man nicht einfach hinschmeißen, wenn man überlastet ist."

Nachgefragt

Zieht die Gesellschaft die richtigen Lehren aus den Erfahrungen mit COVID-19?

Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen haben in den vergangenen Monaten einen sehr hohen Preis für die Maßnahmen zum Schutz vor Corona zahlen müssen, sei es in der häuslichen Pflege oder in Altenpflegeheimen. Mit dem nun nochmal bis Jahresende verlängerten Anspruch auf 20 Tage geförderte Pflegezeit und die Möglichkeit, Pflegezeit und Familienpflegezeit leichter in Anspruch nehmen zu können, sind aber auch Bemühungen erkennbar, die Belastungen in der häuslichen Pflege zu reduzieren. Die NRW-Landesregierung hat eine Studie in Auftrag gegeben, um Probleme und Potentiale in diesem Bereich – auch bezogen auf den Infektionsschutz – zu erforschen. Eine Ombudsstelle des Landes vermittelt bei Konflikten – oft um Besuchsrechte – zwischen Heimen und Angehörigen von Heimbewohnern. Jetzt hat auch noch die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft eine Leitlinie vorgelegt, die Standards für eine bedürfnisorientierte und Grundrechte wahrende Pflege auch unter Pandemiebedingungen setzen soll.

Frau Schmidt-Zadel, stimmt Sie das zuversichtlich, dass wir genug und das Richtige lernen aus den vergangenen Monaten?

Regina Schmidt-Zadel: Die Pandemie lässt gerade alle Schwachstellen unseres Gesundheitssystems zutage treten, auch solche, die Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen betreffen. Um nur ein paar Stichworte zu benennen: Es fehlen ausreichend Pflegekräfte, um eine wirklich individuell bedürfnisorientierte Betreuung in den Heimen zu gewährleisten. Das rächt sich jetzt in der Pandemie, wo im Lockdown die Zuarbeit der Angehörigen ausfiel, und wo auch im Moment noch individuelle und großzügige Besuchsregelungen schon rein personell oft nicht zu stemmen sind. Und die häusliche Pflege behauptet sich mehr schlecht als recht auf einem rutschigen Flickenteppich aus zu wenig Pflegegeld, personell unterbesetzten ambulanten Pflegediensten sowie einem ebenfalls unzureichenden Angebot an Kurzzeitpflegeplätzen und Tagespflegeplätzen, die, wie sich jetzt gezeigt hat, in Notzeiten gar nicht zur Verfügung stehen.
Der verlängerte Anspruch auf die Pflegezeit geht in die richtige Richtung, weil sich viele berufstätige Menschen gerade vermehrt um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern müssen. Es ist eine gute Maßnahme, die aber ihre Geltung über die Pandemie hinaus behalten sollte. Und für viele reichen die 20 Tage nicht aus. Sie müssen zusätzlich unbezahlten Urlaub nehmen oder ihre Erwerbsarbeit dauerhaft einschränken oder aufgeben. Und auch Angehörige, die nicht mehr erwerbstätig sind, brauchen mehr Beistand. Das zeigt unseres Erachtens, dass es in der ambulanten Betreuung von pflegebedürftigen Menschen einen Rechtsanspruch geben muss. Wir brauchen eine Pflichtversorgung mit diesen existentiellen Unterstützungsleistungen, auf die sich die pflegenden Angehörigen fest verlassen können.

Haben die Heime in der Pandemie nicht auch gezeigt, dass sie keine Alternative zur häuslichen Pflege darstellen?

Regina Schmidt-Zadel: Das würde ich so absolut nicht sagen. Viele Heime und vor allem auch die allermeisten Pflegekräfte haben in den zurückliegenden Monaten ein großes Engagement gezeigt und nach Kräften versucht, die Menschen in ihrer Obhut vor Ansteckung zu schützen und sie die Härten durch die Kontaktbeschränkungen nicht so sehr spüren zu lassen. Dennoch hat sich die institutionelle Pflege als Risikofaktor in der Pandemie erwiesen. Das gilt insbesondere für große Einrichtungen, von denen wir noch zu viele haben. Schmerzlich haben wir auch erfahren, dass das Recht auf Selbstbestimmung, wenn man in einer stationären Einrichtung lebt, schnell ausgehebelt werden kann. Die neue Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft weist da gute Wege, aber es sind eben auch nur Empfehlungen. Umso wichtiger scheint mir der weitere Ausbau verlässlicher ambulanter Versorgungsstrukturen.