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Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW e. V.

ALZHEIMER NRW 1-2020

schmidt-zadel
IN DIESEM NEWSLETTER

Editorial
Aus dem Verband:
  • Alzheimer-Telefon NRW Telefonische Beratung in Corona-Zeiten
  • Mehr Unterstützung wäre notwendig gewesen - Alzheimer Gesellschaft Bochum
  • Glück im Unglück - Alzheimer Selbsthilfegruppe Essen
  • Schutz vor Menschenwürde - Alzheimer Gesellschaft Städteregion Aachen
  • Wenn der Vater plötzlich 'Sie' sagt - Alzheimer Gesellschaft Kreis Euskirchen
  • Ihr könnt wieder kommen! - Alzheimer Gesellschaft Rhein/Erft-Kreis
  • Der Gesprächsbedarf ist enorm - Alzheimer Gesellschaft Kreis Neuss/Nordrhein
Menschen:
  • Nur nicht ins Krankenhaus
  • Ermutigung für die Isolierten
Nachgefragt:
  • Selbsthilfe online - Interview mit Elisabeth Philipp-Metzen vom Kontaktbüro Pflegeselbsthilfe

Liebe Leserinnen und Leser,

Das neuartige Corona-Virus hat unser aller Leben verändert. An Demenz erkrankte Menschen treffen die Folgen der Pandemie besonders hart. Nicht nur weil sie aufgrund ihres meist hohen Alters und möglicher Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehören, für die eine Infektion lebensbedrohlich sein kann. Die zum Schutz erlassenen Einschränkungen haben auch viele vereinsamen lassen und verunsichert. Tagespflegen und andere Betreuungsangebote mussten schließen, Besucher draußen bleiben. Veranstaltungen und Gruppenaktivitäten fielen ebenso aus wie Arztbesuche oder Therapien. Für Demenzkranke ist all das schwer zu verstehen und beeinträchtigt ihr Wohl und ihre Gesundheit.

Deutlicher denn je hat die Pandemie die Schwächen im Pflege- und Gesundheitssektor offenbart. Vielen Heimen und ambulanten Diensten fehlte und fehlt es an Schutzkleidung, Desinfektionsmitteln und Testkapazitäten. Ohnehin schon überlastetes und unterbezahltes Pflegepersonal muss nun eine Krise managen, auf die das System nicht vorbereitet war. Aber auch die pflegenden Angehörigen geraten, auf sich allein gestellt, an die Grenzen der Belastbarkeit.
Mut und Hoffnung machen indes die Kreativität und Ideen, mit denen die Menschen in den Pflege- und Beratungseinrichtungen und aus der Nachbarschaft Kontakte ermöglichen und Pflegebedürftige und ihre Angehörigen unterstützen – ob mit Podcasts und Videos, improvisierten Begegnungszonen in Heimen, Konzerten vorm Fenster, Einkaufshilfen, Telefonbesuchen oder Online-Sprechstunden. Das sind Zeichen gelebter Solidarität!

Auch wir beim Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW sind weiter für Demenzkranke und ihre Angehörigen da. Selbsthilfegruppen treffen sich im Internet, Beratungen und Kurse finden online statt. Seit Mai haben wir zudem unsere Telefonberatung ausgebaut: Das Alzheimer-Telefon berät Demenzkranke und pflegende Angehörige jetzt auch am Wochenende.

Zugleich haben wir unser politisches Engagement weiter verstärkt, damit die Anliegen demenzkranker Menschen und Pflegender von den politisch Verantwortlichen nicht vergessen werden. In Pressemeldungen hat der Verband mehrfach auf den Notstand in der häuslichen Pflege und die dramatische Situation in den Pflegeheimen aufmerksam gemacht und sich mit eigenen Vorschlägen direkt an die NRW-Landesregierung gewandt.

In diesem Newsletter haben wir eine Erfahrungslese versucht: Wie ist es unseren Mitgliedern in NRW während der zurückliegenden Corona-Wochen ergangen? Wie haben sie Kontakte ermöglicht und Unterstützung geleistet? Und wie geht ihre Arbeit jetzt weiter?
Ich wünsche Ihnen eine inspirierende und spannende Lektüre!

Ihre Regina Schmidt-Zadel (MdB a.D.)
Vorsitzende des Landesverbandes der Alzheimer Gesellschaften NRW e. V.

Aus Verband & Mitgliedschaft

Alzheimer-Telefon NRW – Telefonische Beratung in Corona-Zeiten

Banner Alzheimer-Telefon
Demenz macht keine Pausen – auch nicht am Wochenende oder nachts. Für pflegende Angehörige heißt das häufig, permanent im Einsatz zu sein. Durch die mit der Corona-Epidemie verbundenen Einschränkungen sind die Belastungen weiter gestiegen. Weil Tagespflegen und Betreuungsangebote geschlossen haben, sind viele Angehörige, die Demenzkranke zuhause pflegen, fast völlig auf sich allein gestellt. Gerade an Wochenenden fehlen oft kompetente Ansprechpartner. Alzheimer NRW will diese Lücke schließen. Seit Mai bietet der Verband Demenzkranken und Angehörigen auch samstags und sonntags telefonische Beratung an.

Das Team nimmt sich Zeit für deren Anliegen und berät individuell und kompetent zum Thema Demenz und Pflege. Die Fachkräfte des Verbands beantworten Fragen zum Krankheitsbild und Verlauf der Alzheimer-Erkrankung und anderen Demenzformen sowie zu Diagnostik und Therapien und informieren über lokale Unterstützungsangebote, Selbsthilfegruppen und ambulante und stationäre Pflege. Einen Schwerpunkt bilden Tipps zum alltäglichen Umgang mit demenzkranken Menschen, aber auch zur Selbstfürsorge. Denn gerade berufstätige oder ältere Angehörige sind oft doppelt belastet. Bei Bedarf erhalten Interessierte auch schriftliche Informationen. Das Projekt wird vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW (MAGS) gefördert.

Mehr Unterstützung wäre nötig gewesen

„Wir freuen uns sehr, wieder mit unseren Betreuungsgruppen starten zu können!“ heißt es Mitte Juni auf der Homepage der Alzheimer Gesellschaft Bochum e. V.. Noch feile man am Hygienekonzept, bereite die Gruppenräume und den Garten vor…

Drei Monate zuvor sah man sich völlig unvorbereitet der Herausforderung gegenüber, die die Corona-Krise nicht nur, aber eben auch der Selbsthilfe stellte, erzählt Jutta Meder, Beraterin bei der Alzheimer Gesellschaft Bochum. „Von heute auf morgen musste alles eingestellt werden: Persönliche Beratungsgespräche, Betreuungsgruppen für Demenzerkrankte, moderierte Selbsthilfegruppen, ehrenamtliche Unterstützung im Alltag, Tanzveranstaltungen, Gedächtnistraining, Bewegung…“ Da fehlte den Betroffenen und ihren Angehörigen auf einmal viel an Struktur, Impulsen, Kontakt und Halt. Dem Verein wiederum drohen finanzielle Einbußen, weil ein Teil der geleisteten Unterstützung über die Pflegekassen abgerechnet wird. „Die haben nichts gezahlt, als nichts stattfand“, so Meder. Die Fachkraft, die unter anderem die Gruppen für Betroffene und Angehörige betreut, wurde dennoch gehalten und versuchte, den Kontakt aufrechtzuerhalten.

Auch in Jutta Meders täglicher Telefonsprechstunde riefen viele verzweifelte Angehörige an. Wie rigide manche Heime die Schutzvorschriften ausgelegt hätten, habe sie rasend gemacht, erzählt Jutta Meder. Der Frau eines Heimbewohners wurde der Einlass verwehrt, weil sie beim Desinfizieren am Eingang ihren Ehering nicht vom Finger bekam. Die berufstätige Tochter einer demenzkranken Mutter bekam keinen Ersatztermin, nachdem sie es nicht geschafft hatte, pünktlich an der Heimpforte zu sein. Es fehle Personal und Zeit, die Bewohnerin ans Fenster zu setzen, damit sich die Familie wenigstens zuwinken könne, hieß es in einer anderen Einrichtung.
Aber auch zuhause Pflegende meldeten sich in höchster Not. Am Beratungstelefon weinten völlig erschöpfte Frauen, die rund um die Uhr für ihre demenzerkrankten Angehörigen da sein mussten, weil die Betreuungskraft nicht kommen konnte oder die Tagespflege zu hatte.

Die Notbetreuung in den Tagespflegen hätte ausgebaut werden müssen, um den Menschen, die demenzerkrankte Angehörige pflegen, eine Auszeit zu verschaffen und den Betroffenen selbst ein wenig Abwechslung und Förderung, findet Jutta Meder. „Die Gelder der Pflegekasse für die Tagespflege hätten auch für kleinere Gruppen oder Stunden in Einzelbetreuung umgewidmet oder als zeitweiliges Pflegebudget zur freien Verfügung ausgezahlt werden können“, sagt die Fachberaterin der Bochumer Alzheimer Gesellschaft. Das aber ist nicht geschehen.

Überhaupt sei die Systemrelevanz der pflegenden Angehörigen in keiner Weise berücksichtigt oder anerkannt worden. Nach drei Monaten Corona-Beschränkungen gingen viele Angehörigen auf dem Zahnfleisch. Es sei höchste Zeit, dass die Betreuungsgruppen für die Betroffenen – in kleinerer Besetzung und mit strikten Abstandsregeln – und die Angehörigengruppen wieder starten dürfen. „Obwohl ich berührt davon bin, wie gut die Frauen aus unserer Gruppe einander auch online und telefonisch Trost und Unterstützung gegeben haben. Da wurde ganz viel Kompetenz spürbar“.

Parallel zu all den Vorbereitungen für den Neuanfang wie dem Erstellen von Hygienekonzepten, Räume nach den neuen Abstandsregeln einrichten, Organisieren des eingeschränkten Zugangs etc. sitzt jetzt eine Kraft an den Antragsformularen für Mittel aus dem Rettungsschirm. Denn auch die Selbsthilfe mit ihren vielen Ehrenamtlichen ist auf Refinanzierung angewiesen.
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http://www.alzheimer-bochum.de/
„Von heute auf morgen musste alles eingestellt werden."

Glück im Unglück

„Ich weiß noch, unser Treffen im März war so richtig schön. Wir haben uns über interessante Themen unterhalten, und viele Aktive waren da“, erinnert sich Lucia Szymanski an die letzte Zusammenkunft ihrer Alzheimer Selbsthilfegruppe Essen e. V. vor Corona. Dann legten die Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen das soziale Leben und damit auch alle Selbsthilfeaktivitäten für längere Zeit lahm.

Schon seit vielen Jahren treffen sich bis zu 15 Angehörige und an Demenz erkrankte Menschen einmal monatlich im Essener Caritas-Stift Lambertus zum Austausch in der Selbsthilfegruppe. Aber ausgerechnet dieses Domizil war Ende März durch COVID 19-Fälle unter Bewohnern und Beschäftigten betroffen.

„Ich habe dann Kontakt zu anderen Institutionen in Essen aufgenommen, ob sie einen Raum für uns haben“, berichtet die Gruppenleiterin. „Das Interesse war groß, doch es gab keine konkreten Vorschläge. Dann kam von einer Angehörigen aus unserer Gruppe der entscheidende Tipp: Ihr Mann geht regelmäßig zum Malen in das Inklusive Kulturzentrum Forum Billebrinkhöhe. Das ist eine umgewidmete Kirche mit viel Platz für Ausstellungen, Veranstaltungen und eben auch für unsere Selbsthilfegruppe“, freut sich Lucia Szymanski. Die Räume seien wunderschön, der Zugang sogar niederschwelliger als zum Pflegeheim. Und so plant die Vereinsvorsitzende schon jetzt, diesen Standort der Selbsthilfegruppe zu bewerben und auch dann beizubehalten, wenn das Caritas-Stift wieder öffnet. Am 13. August von 18.00 bis 20.00 Uhr nimmt die Selbsthilfegruppe dort die Beratung und den Erfahrungsaustausch wieder auf. Demenzbetroffene werden wie gewohnt parallel betreut.
https://alzheimer-selbsthilfe-essen.de/
logo Aachen
www.alzheimergesellschaft-aachen.de
„Für Menschen mit Demenz sind alle Lockerungen nicht ausreichend."

Schutz vor Menschenwürde?

Während ihrer telefonischen Beratungen in den zurückliegenden Corona-Wochen hat Ursula Kreutz-Kullmann ebenso wie andere aktive Mitglieder der Alzheimer Gesellschaft StädteRegion Aachen e. V. erfahren, wie wenig es gelingt, Schutz und bedarfsorientierte Betreuung gerade von Demenzkranken unter den herrschenden Bedingungen zu vereinbaren.
Die Vorsitzende der Aachener Alzheimer Gesellschaft berichtet von einer pflegenden Tochter, die versuchte, ihren Vater in Kurzzeitpflege mit Option auf eine langfristige Lösung unterzubringen. Der Witwer war zuvor halbtags täglich bei seiner Tochter und konnte nun nicht mehr den Rest des Tages und die Nacht allein zuhause bleiben. Doch schon am nächsten Tag meldete sich die Einrichtung und forderte die Tochter auf, ihren Vater wieder abzuholen. Es gelänge nicht, ihn in der notwendigen Quarantäne zu halten, der Vater gehe in andere Bewohnerzimmer. „Wen wundert es, dass ein desorientierter Mensch, noch dazu in einer neuen Umgebung, nicht so einfach im Zimmer bleibt?“, fragt sich Ursula Kreutz-Kullmann. „Ist der Umkehrschluss, dass Menschen mit Demenz aktuell eigentlich gar nicht in Pflegeheimen aufgenommen werden können? Es liegt im Krankheitsbild, dass sie keine Abstandregeln einhalten können und vergessen, warum sie Mund-Nase-Schutz tragen sollen.“

Keine Kurzzeitpflege, keine Tagespflege – die Vereinsvorsitzende stellt mit Sorge fest, dass die Belastung für die pflegenden Angehörigen weiter zugenommen hat. „In Rückmeldungen höre ich auch, dass die Demenz schneller fortschreitet, denn die Tagespflege etwa entlastet nicht nur die Angehörigen, sondern bedeutet auch für die Betroffenen eine Stärkung und Aktivierung.“

Dass viele Angebote jetzt wieder öffneten, sei eine Erleichterung, aber: „Für Menschen mit Demenz sind alle Lockerungen nicht ausreichend. Die Abstandsregel unterwirft die Begegnungen mit Angehörigen in stationären Einrichtungen zu großen Einschränkungen und steht ihrer Wiederaufnahme in teilstationäre Einrichtungen entgegen.“

Die Selbsthilfegruppen der Aachener Alzheimer Gesellschaft seien in den vergangenen Monaten eng telefonisch begleitet worden. Ein Austausch im Internet sei indes nicht möglich gewesen, weil den Angehörigen dafür die notwendige Technik und Erfahrung fehlte. Nun aber seien alle froh, dass die Gruppen sich wieder treffen können. Allerdings mussten dafür teilweise neue Räume angemietet werden, da die bisher kostenfrei genutzten Räume in kooperierenden Pflegeeinrichtungen aktuell nicht genutzt werden können.

Wenn der Vater plötzlich „Sie“ sagt

Auch in Euskirchen plagt man sich mit Raumproblemen. „Wenn wir jetzt am 1. Juli wieder mit den Angehörigengruppen beginnen, muss die sonst parallel stattfindende Betreuung der Pflegebedürftigen vorerst ausfallen“, bedauert Monika Kronenberg, erste Ansprechpartnerin der Alzheimer Gesellschaft Kreis Euskirchen e. V.. „In den Räumen, die uns die Diakonie zur Verfügung stellt, können wir die Megavorschriften nicht erfüllen.“ Fürs Erste müssen die pflegenden Angehörigen also eine häusliche Betreuung organisieren. Der Gesprächsbedarf sei nach den aufreibenden Monaten der pandemiebedingten Einschränkungen groß. „Bei uns im Kreis konnte man die fehlende Tagespflege kaum durch ambulante Pflege ausgleichen. Die Pflegedienste hatten keine Kapazitäten mehr“, berichtet Monika Kronenberg, die beruflich eine Demenzberatungsstelle leitet.

Dass auch die stationäre Unterbringung pflegebedürftiger Angehöriger mit Leid und Sorge verbunden war, kann die engagierte Vorstandsfrau aus eigener Erfahrung berichten. „Wir konnten unseren Vater, der im Heim lebt, nur über einen Gartenzaun hinweg sehen und sprechen. Vorher haben wir ihn regelmäßig nach Hause geholt. Jetzt siezt er uns seit einigen Wochen. Er versteht die Abstandsregeln nicht, versucht das Törchen zu öffnen, das ihn von uns trennt, ist befremdet von unseren Gesichtern hinter dem Mund-Nasen-Schutz. Das ist für uns alle schmerzlich.“

In anderen Heimen sei es schon seit einiger Zeit möglich, zusammen in der Cafeteria zu sitzen oder mit den dort wohnenden Angehörigen spazieren zu gehen. „Eine Runde um den Block müsste doch gehen. Wir haben ihn ja auch bisher immer wiedergebracht.“
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htttp://alzheimer-euskirchen.de
„Die Pflegedienste hatten keine Kapazitäten mehr."
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Die "Gruppe füreinander" im Rhein-Erft-Kreis
„Und natürlich wird dann auch getanzt – aber ohne Körperkontakt und mit Abstand."

Ihr könnt wieder kommen!

Mitte Juni war Dr. Sybille Schreckling stark mit Hygienefragen beschäftigt. Die Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Rhein-Erft-Kreis e. V. musste erst ein tragbares Hygienekonzept erstellen, ehe Ende des Monats die Gruppe für Angehörige mit zeitgleicher Betreuung für Demenzerkrankte wieder anlaufen darf. „Die Angehörigen haben sich – mit Abstand und Schutzmaske – schon Ende Mai wieder treffen können“, so die engagierte Ärztin. „Damit aber auch die Kranken teilnehmen können, brauchte es weitergehende Vorkehrungen“.

So werden beispielsweise die Alltagsbetreuer darin geschult, wie sie, wenn sie Menschen mit Demenz zu den Bewegungsgruppen abholen, diese einzeln in den Bus geleiten und dort auf Abstand zueinander platzieren. Alles muss nach jeder Fahrt – wie übrigens auch die Räume nach den Gruppentreffen – desinfiziert werden; der Fahrer trägt selbstverständlich eine Maske, die Fahrgäste auch, „soweit sie es tolerieren“, so Sybille Schreckling.

In der ‚Gruppe füreinander‘ (Bild), aber auch in anderen Angeboten der Alzheimer Gesellschaft Rhein/Erft spielt Bewegung eine wichtige Rolle. Rehasport für Demenzerkrankte etwa steht regelmäßig auf dem Programm und ist schon eine Weile wieder möglich. Sybille Schreckling erzählt, dass die Demenzbetroffenen bei den ersten Treffen sehr wortkarg waren, eine eingefrorene Mimik zeigten und insgesamt depressiv wirkten. Inzwischen seien sie wieder etwas lebhafter. Damit die Übungen für Gleichgewichtssinn und Rücken mehr Spaß machen, läuft Musik dazu. „‘Rasputin‘ von Boney M. und ‚Azzurro‘ von Adriano Celentano sind sehr beliebt“, lacht Schreckling. „Und natürlich wird dann auch getanzt – aber ohne Körperkontakt und mit Abstand.“ Auch wenn sich die Angehörigen zum Austausch treffen, versetzen Sybille Schreckling und der Sportwissenschaftler Dr. Hubertus Deimel sie erst einmal in Bewegung. Das wird auch Ende Juni so sein: zuerst ein paar Übungen nach Art des Tai Chi, dann ist Gelegenheit zum Austausch und zu Fragen. „Obwohl wir in der Zeit des Lockdowns durch Rundschreiben und Telefonate mit unseren Leuten in Kontakt geblieben sind, waren sie doch heilfroh, als wir jetzt gesagt haben: Ihr könnt wieder kommen!“
http://alzheimer-gesellschaft-rhein-erft-kreis.de/

Der Gesprächsbedarf ist enorm

„Gut, dass wir jetzt wieder loslegen können!“, freut sich auch Marina Burbach (Foto) von der Alzheimer Gesellschaft Kreis Neuss/Nordrhein e.V.. Die hauptamtliche Fachberaterin hat zwar auch während des Lockdowns schon mal von Angesicht zu Angesicht beraten, wenn jemand das sehr nötig brauchte. Meist aber musste ein intensives Telefonat ausreichen.
Gemeinsam mit anderen Organisationen wie der Diakonie und der Caritas schult die Neusser Alzheimer Gesellschaft Alltagsbegleiterinnen, die Pflegebedürftige gegen eine Aufwandsentschädigung ehrenamtlich unterstützen. „Die haben kaum arbeiten können, weil die Furcht vor einer Ansteckung so groß war und manche Demenzkranke keinen Abstand halten können“, sagt Burbach.
Nun seien die meisten der 40 Kräfte im gesamten Kreis wieder im Einsatz. Auch zum Gesprächskreis wird wieder eingeladen, wenngleich man die Zahl der Teilnehmenden wegen der Abstandsregeln erstmal begrenzen müsse. Es habe sich ein enormer Gesprächsbedarf angestaut. Da ja auch während des Lockdowns Menschen neu erkrankt bzw. diagnostiziert wurden, gebe es zudem einen großen Bedarf an Beratung und Schulung. „Für Anfang August ist wieder ein Vortrag zum Thema ‚Demenz - was nun?‘ in der Volkshochschule Neuss geplant. Unsere ‚Leben mit Demenz‘-Kurse werden garantiert auch stark nachgefragt, wenn sie hoffentlich im Herbst wieder anlaufen können.“
https://www.alzheimer-neuss.de/
Burbach Neuss
Marina Burbach von der Alzheimer Gesellschafft Kreis Neuss/Nordrhein
„Gut, dass wir jetzt wieder loslegen können!"

Menschen

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Martin Kresse, der seine Frau Regina zuhause pflegt.
„Dass anderes für längere Zeit ausfiel, hat meine Frau ziemlich aus dem Rhythmus und aus dem Konzept gebracht."

Nur nicht ins Krankenhaus!

Martin Kresse (Foto), der seine Frau Regina pflegt, ist froh, dass sie die beunruhigende Zeit der Pandemie wenigstens in ihrem gewohnten Umfeld verbringen kann. „Auch so schon ist sie stark verunsichert und ängstlich“, erzählt der Korschenbroicher. „Das Thema Infektionsgefahr ist ja allgegenwärtig, und sie spürt auch meine Sorge.“ Mit Mitte sechzig ist seine Frau zwar nicht unbedingt Hoch-Risikopatientin. Aber wenn sie wegen einer Infektion ins Krankenhaus müsste, würde sie schon seelisch den Aufenthalt in dieser fremden Umgebung mit den gespenstisch maskierten Menschen nicht unbeschadet überstehen, fürchtet der grüne Ratsabgeordnete. „Ein Krankenhausaufenthalt ist keine Option!“

Um die Gefährdung für sie und andere zuhause gepflegte Menschen möglichst gering zu halten, hat Martin Kresse sich als sachkundiger Bürger im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Kreises Neuss erkundigt, ob man pflegenden Angehörigen nicht hochwertige Schutz-Masken zur Verfügung stellen könnte. Aber das sähen die Gesundheitsbehörden nicht vor. „Ich war deswegen froh, dass unser Sohn für uns das Einkaufen erledigt hat, und jetzt kommt auch wieder jemand von der Alzheimer Gesellschaft Neuss zu unserer Unterstützung“, berichtet Kresse.

Zu Beginn der Corona-Krise waren erstmal alle Hilfen weggebrochen. Selbsthilfegruppe und Alltagsbegleitung fielen länger aus. Nur die Ergotherapeutin nahm ihre Arbeit, unter den notwendigen Schutzvorkehrungen, bereits nach drei Wochen wieder auf. „Das war eine große Hilfe.“ Auch dass die Nachbarin weiter mit Regina walken ging, war ein Stück kostbare Normalität. „Dass anderes für längere Zeit ausfiel, hat meine Frau ziemlich aus dem Rhythmus und aus dem Konzept gebracht,“, sagt Martin Kresse. „Ich musste das dann auffangen und bekam einiges von ihr ab.“ Schon deswegen habe es ihm gutgetan, dass Freunde und Unterstützer aus der Alzheimer Gesellschaft in der Zeit der Kontaktverbote häufiger angerufen hätten. „Und jetzt sind ja zum Glück wieder Begegnungen möglich.“

Ermutigung für die Isolierten

„Diejenigen, die am meisten unter den Begleiterscheinungen der Pandemie leiden, sind die Bewohnerinnen und -bewohner in der Altenhilfe, und da vor allen diejenigen die eine demenzielle Grunderkrankung haben“, sagt Helge Pabst. Er ist geschäftsführender Pflegedienstleiter beim Gütersloher Verein ‚Daheim e. V..

„Die breite Bevölkerung hatte wenigstens noch minimale Freiheiten. Aber die pflegebedürftigen und alten Menschen, die in Pflegeeinrichtungen leben, sind in ihren Rechten lange stark eingeschränkt worden. Besuche dürfen bis heute nur stark eingeschränkt stattfinden. Je nach Infektionslage durften die Bewohner die Einrichtung nicht verlassen oder mussten sogar in ihren Zimmern isoliert werden.“

‚Daheim e. V.‘, einst von pflegenden Angehörigen und professionell Pflegenden gegründet, bietet keine Heimplätze an, sondern anbieterorganisiertes Wohnen in betreuten Haus- oder Wohngemeinschaften. Aber auch diese mussten den Lockdown selbstverständlich einhalten.

„Unsere Pflegekräfte, Ergotherapeuten und Betreuungskräfte haben sich große Mühe gegeben, die fehlenden familiären Kontakte auszugleichen“, sagt Helge Pabst. Behütete Spaziergänge in den hauseigenen Gärten etwa sollten ein bisschen Freiheitsgefühl vermitteln. „Unsere Ergotherapeuten haben ein Betreuungsprogramm in Form einer Clownsvorstellung entwickelt. Mehrere Aufführungen fanden in den Gärten statt, während die Bewohner an den Wohnzimmerfenstern oder auf der Terrasse saßen und von dort aus zuguckten.“ Auch eine Blaskapelle spielte in einer Hausgemeinschaft. „Natürlich in sicherem Abstand zu unseren Bewohnern unter konzeptioneller Einbindung der Gesundheitsbehörde“, betont Pabst.

Trotzdem vermissten die Menschen die Musizierstunden und Vorleserunden in den Wohngemeinschaften, die Besuche von Ehrenamtlichen und vor allem ihrer Töchter, Söhne, Lebenspartner und engen Freunde. Besonders diejenigen, die eine demenzielle Grunderkrankung haben, hätten die veränderte Situation schmerzlich gespürt, zumal sie nicht verstanden, warum niemand mehr kam. Für sie bedeutete auch die Maskenpflicht eine große Einschränkung. Denn wo Worte nicht gut verstanden werden, kann man sich normalerweise noch an der Mimik des Gegenübers orientieren. Mit Maske geht das jetzt nicht mehr.

„Für unsere Mitarbeiterschaft ist es schwer zu erleben, wie sich die Menschen in dieser Situation verändern. Sobald es möglich war, haben wir wieder Besuche zugelassen, in speziell dafür eingerichteten Räumen, im Garten oder in eigens aufgestellten Zelten am Eingang“, berichtet der Pflegdienstleiter. Auch die Tagespflege konnte Anfang Juni wieder öffnen. Die dort angebotenen Aktivitäten wie Ausflüge, Spaziergänge, Gruppen und Vorleserunden hätten allen sehr gefehlt.
logo daheim
https://verein-daheim.de/
„Die pflegebedürftigen und alten Menschen, die in Pflegeeinrichtungen leben, sind in ihren Rechten lange stark eingeschränkt worden."

Nachgefragt

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Elisabeth Philipp-Metzen (Screenshot beim Online-Treffen) vom Kontaktbüro Pflegeselbsthilfe (KoPs)

Selbsthilfe online – kostenlos und virenfrei!

Wie erleben Menschen mit Demenz die Corona-Krise? Was tun, wenn die Tagespflege geschlossen hat oder der Pflegedienst nicht mehr kommt? Wo können Pflegende und Betroffene auch jetzt Unterstützung finden? Mit einem Online Selbsthilfe-Angebot hat Alzheimer NRW auf die Herausforderungen reagiert, vor denen demenzkranke Menschen und ihre Familien während der Corona-Epidemie stehen. Bis Ende Juni trafen sich Angehörige jeden Donnerstag um 15:00 Uhr im digitalen Raum – kostenlos und virenfrei. Elisabeth Philipp-Metzen vom Kontaktbüro Pflegeselbsthilfe (KoPs) erzählt im Interview vom Angebot in Corona-Zeiten.

Wie liefen die Online-Selbsthilfetreffen ab?
Unser Angebot war bewusst niedrigschwellig konzipiert und nicht an eine langfristige Mitgliedschaft gebunden. Nach vorheriger Anmeldung per E-Mail beim Kontaktbüro Pflegeselbsthilfe (h.e.philipp-metzen@alzheimer-nrw.de) erhielten die Interessierten einen Zugangscode für die Video-Plattform. Bis zu zehn Personen konnten an dem jeweils 90-minütigen Austausch teilnehmen. Wir begannen mit einer kurzen Vorstellungsrunde und Einführung in die technischen Funktionen. Danach konnten die Angehörigen ihre Fragen loswerden und die eigene Situation schildern. Alle sahen sich dabei gleichzeitig auf einem unterteilten Bildschirm.
Der wöchentliche Rhythmus entsprach den Bedarfen speziell in den ersten Monaten der Corona-Krise. Ein mögliches Nachfolgeangebot würde einmal im Monat stattfinden.

Was brauchen Interessierte, um teilnehmen zu können?
Für die Online-Treffen benötigen die Teilnehmenden lediglich einen Laptop, ein Tablet oder PC, mit Internetzugang, Kamera und Mikrofon. Es reicht aber auch schon ein Smartphone. Wer nicht über diese Technik verfügt, kann sich einfach telefonisch zuschalten und mitreden.

Was ist online anders als bei den üblichen Selbsthilfetreffen?
Wie bei Gruppentreffen vor Ort haben alle Teilnehmenden Zeit, ihre Anliegen vorzubringen und sich miteinander auszutauschen. Eine Chat-Funktion ermöglicht es zudem, parallel Fragen einzutippen. Möglicherweise sind Online-Treffen für „Neulinge“ ungewohnt und dadurch zu Beginn etwas anstrengender, als wenn man sich direkt gegenübersitzt. Aber auch hier überwiegt die Freude am gemeinsamen Treffen.

Was waren die dringendsten Anliegen der Teilnehmenden?
Viele hatten ganz konkrete Fragen zu ihrer Pflegesituation zuhause oder zu den coronabedingten Besuchsregelungen im Altenheim. Andere wünschten einen ersten Einblick in das Thema Pflege und Demenz. Genau dafür sind die Online-Treffen ideal. Gemeinsam konnten wir meist passende Tipps geben oder Kontakte vor Ort vermitteln. Aber natürlich gibt es nicht für alle Fragen und Problemlagen eine Sofortlösung. Oft hilft es den Ratsuchenden aber auch schon zu hören, dass es anderen ganz ähnlich geht, und sich aussprechen zu können.